Interstellar — ein Meisterwerk von Christopher Nolan

Groß waren meine Erwartungen an Interstellar, Christopher Nolans Film, der Ende 2014 erschien. Und vorne weg: meine Erwartungen wurden übertroffen. Es ist schon sehr viel über diesen Film geschrieben worden. Was ich hier aufschreibe, sind einzelne Punkte, die mir aufgefallen sind, die ich aber sonst noch nirgendwo gelesen habe.

Worum geht es in dem Film?

Die Handlung setzt in einer nicht allzu fernen Zukunft ein. Die Menschheit wird von Hunger bedroht, auch in den Industrieländern. Getreide gedeiht nicht mehr, aufgrund von Mehltau und anderen Erkrankungen. Einzig Mais wächst noch. Doch die Lage spitzt sich zu; Wüsten breiten sich aus, Sandstürme bedrohen die Ernten. Technologischer Fortschritt und Wissenschaft gilt in der dargestellten amerikanischen Gesellschaft als verdächtig. Was zählt, ist die Produktion von Lebensmitteln. Dementsprechend ist der Beruf „Farmer“ hoch angesehen.

Der Protagonist Cooper ist Farmer, nachdem er vor längerer Zeit als NASA-Pilot gearbeitet und dabei einen Unfall während des Raketenstarts nur knapp überlebt hatte. Zusammen mit seinen beiden Kindern Murphy und Tom und seinem Schwiegervater lebt er in seiner Farm. In Murphies Zimmer kommt es immer wieder zu unerklärlichen Vorkommnissen: So fallen Bücher grundlos aus dem Regal, und nach einem Sandsturm verteilt sich der Sand in Form eines Barcodes auf dem Boden. Cooperentdeckt als Ursache dieser Phänomene Anomalien in der Gravitation und entschlüsselt den Barcode: er enthält Längen- und Breitengrad-Koordinaten. Gemeinsam mit Murphy macht er sich auf, um dem Phänomen auf den Grund zu gehen.

Auf dieser Reise verlässt Cooper nicht nur sein Haus und seine Familie, nicht nur die Erde und sogar unsere Galaxis, er verlässt auch seine Zeit, um der Menschheit eine Chance zu geben zu überleben…

Was ist das große Thema des Films?

Jeder gute Film hat — zumindest nach meiner Definition — neben der Handlung ein großes Thema, etwas, das die fiktive Geschichte mit unserer realen Welt verknüpft. Das große Thema von Interstellar ist die Frage: Was ist für die Menschheit wichtiger — individuelles Glück oder kollektives Wohlergehen? Nolan nähert sich dieser Frage filmisch, indem er die These vom individuellen Glück und die Antithese vom Wohlergehen des Kollektivs personalisiert.

Auf der Seite des individuellen Glücks stehen Coopers Kinder, Murphy und Tom. Tom versucht, seine Familie zu beschützen, indem er sein Leben als Farmer fest verwurzelt mit dem Boden führt, auf dem er aufgewachsen ist — im Wortsinn schon fast fundamentalistisch. Seine Schwester Murphy dagegen versucht, neue Wege zu beschreiten, um so das Überleben der Menschen zu sichern.

Auf der Seite des kollektiven Wohlergehens stehen die Wissenschaftler Prof. Brand und Dr. Mann. Auch hier gibt es mit Dr. Mann den Fundamentalisten, dem das Schicksal einzelner Menschen fast gleichgültig ist, solange nur die Menschheit insgesamt überleben kann. Prof. Brand dagegen vertritt seine Position eher aus praktischen Gründen, weil er nicht daran glaubt, dass es möglich sein wird, viele Menschen von der sterbenden Erde zu retten.

Interessant ist, dass die beiden „Fundamentalisten“ scheitern — Tom wird gezwungen, sein Land zu verlassen, und Dr. Mann scheitert an seinen Ansprüchen, weil es ihm nicht gelingt, sein eigenes Leben für das große Ganze hinzugeben.

Murphy und Prof. Brand dagegen versuchen, auf jeweils ihrem Weg zur Rettung der Menschheit beizutragen, indem sie den im Film so genannten Plan A bzw. Plan B verfolgen, die beide mutmaßlich aufgehen.

Möglich wird das durch die Synthese: es ist die Liebe, die verhindert, dass Menschen zu brutalen Einzelgängern werden oder zu Arbeitsbienen in in einem kalten Kollektiv. Indem die Menschen liebevoll Verantwortung füreinander empfinden, kommen die Bedürfnisse des Einzelnen und das Wohlergehen des Kollektivs in Einklang. Auch die Liebe ist personalisiert, in der Person Coopers.

Der Widerstreit zwischen Individualität und Kollektivität wird an vielen Stellen im Film explizit angesprochen. Er wird aber auch in teils subtilen Anspielungen angedeutet: Die amerikanische Gesellschaft sieht sich heute als Hort der Individualität; im Film aber entwickelt sie sich in eine Gesellschaft, in der der Beitrag zur Ernährung des Kollektivs viel mehr wert ist, als die Selbstverwirklichung — mit deutlichen Hinweisen auf einen Bauernstaat im real-existierend-sozialistischem Sinn.

Als Nebenschauplatz geht es noch um andere Gegensätze: Treue und Verrat sowie Emotion und Rationalität. Und ganz wichtig in einem Nolan-Film: immer wieder die Lebenshingabe. Dieses etwas angestaubt klingende Motiv zieht sich durch viele Nolan-Filme, allen voran Prestige (dessen goßes Thema ja die Lebenshingabe in ihren Variationen ist), aber auch die Batman-Filme sind nicht frei davon. Daneben kling noch das Motiv der Selbsterlösung an. Als Christ sehe ich das natürlich kritisch — aber für mich ist es noch viel besser als nebulöse Höhere Wesen, die man sich im sinne eines postmodernen „everything goes“ nach Gusto als spirituelle Wesen oder als hochgezüchtete biologische Lebensform vorstellen kann. Ich hatte solchen esotherischen Quatsch anfangs befürchtet, als ich den Film zum ersten Mal gesehen habe. Zum Glück kam es aber anders.

Physik

Wir haben gerade keine Zeit, uns um Relativität zu sorgen, Dr. Brand.

Das sagt Cooper, kurz bevor er Dr. Brand rettet, und dabei dem Schwarzen Loch gefährlich nahe kommt.

Damit ist eigentlich alles gesagt, was zur Physik in Interstellar zu sagen ist. Denn diese Aussage gilt nicht nur Dr. Brand, sondern auch uns Zuschauern. Warum wird dann dennoch soviel über die „falsche“ Physik dieses Films geschrieben? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Vielleicht liegt es daran, dass die Physik, die dem Zuseher präsentiert wird, sehr plausibel klingt. Vieles kennt der geneigte Rezipient aus mehr oder weniger wissenschaftlichen Beiträgen und Magazinen: Wurmlöcher, Ereignishorizont, Zeitdilatation, Unvereinbarkeit von Relativitätstheorie und Quantenphysik. Alles schon mal gehört. Und noch nie verstanden. Ganz im Gegensatz zu Star Treck  und all den anderen SciFi-Produktionen, wo man um physikalische Erklärbarkeit nur am Rande bemüht ist.

Obwohl ich Physiker bin, oder gerade deshalb, stören mich die physikalischen Fehler, die man finden kann, gar nicht. Wenn es die Dramaturgie erfordert, ist halt keine Zeit für Relativität.

Eine Sache möchte ich aber richtig stellen, die in so vielen Rezensionen (und nicht nur dort) falsch dargestellt wird. Bei all der spekulativen Physik, die in Interstellar dargestellt wird, handelt es sich nicht um Theorie, sondern bestenfalls um Hypothesen. In der Physik hat das Wort Theorie nämlich eine ganz andere Bedeutung als in der Umgangssprache. Etwas vereinfacht kann man es so sagen: Wenn man in der Physik etwas so gut erklärt hat, wie man es als Physiker nur kann, dann nennt man diese Erklärung eine Theorie. Das hat viel mit Understatement zu tun, aber sehr wenig mit „es könnte aber auch ganz anders sein“. Eine Theorie ist eine Beschreibung, die so gut mit beobachtbaren Daten übereinstimmt, dass sie sicherlich nicht völlig falsch ist. Natürlich kann es sein, dass die Theorie nur einen beschränkten Gültigkeitsbereich hat, und unter Umständen ist die Grenze der Gültigkeit (noch) nicht bekannt. Die Relativitätstheorie ist also nicht „nur eine Theorie“, sondern es ist die beste Beschreibung der Gravitation und vieler Effekte der Elektrodynamik, die wir kennen.

Die Theorie möchte ich aber noch von einem anderen Begriff abgrenzen, nämlich dem der Deutung. Die Deutung liegt ihrem Wesen nach außerhalb der Physik, schließlich geht sie über beobachtbares hinaus. Zu einer Theorie kann es durchaus verschiedene mit der Theorie kompatible Deutungen geben, die sich aber gegenseitig ausschließen.